
… Antike Statuen bestehen aus unterschiedlichen Motiven, Formen und Chiffren. Aus dies ergab ein stimmiges Bild, das den geltenden gesellschaftlichen Werten entsprach oder auch nicht …
In unserer sechsten Ausgabe der XvsY-Reihe stehen sich zwei Frauenstatuen gegenüber, die gegensätzliche Lebensarten verkörpern: die sog. trauernde Penelope, ordentlich bekleidet auf einem Hocker ihren Gedanken nachhängend, und die sog. trunkene Alte, mit einer Weinflasche auf dem Boden hockend.
Penelope, die Frau des Odysseus, wartet 20 Jahre auf seine Rückkehr. Aufgrund ihrer Klugheit gelingt es ihr, zahlreiche Heiratsbewerber zurückzuweisen. Die Münchner Rekonstruktion (Inv. 1311) zeigt, wie die Statue in der Antike sehr wahrscheinlich ausgesehen hat: Die alterslos schöne Penelope hält in der Hand eine Spindel und unter dem Hocker steht ein Wollkorb – beides sind Zeichen für eine ihrer Listen. Sie wollte erst wieder heiraten, wenn sie das Leichentuch für ihren Schwiegervater fertig gestellt hätte. Aber was sie tagsüber wob, trennte sie nachts heimlich wieder auf!
Die sog. trunkene Alte ist namenlos und war wohl eine ehemalige Hetäre, d. h. eine Prostituierte, die in der gehobeneren Gesellschaft verkehrte. Nun ist sie alt, was der magere Körper und die tiefen Falten in ihrem Gesicht detailgetreu wiedergeben. Offensichtlich betrunken lachend wirft sie den Kopf in den Nacken, wobei ihr das Gewand von der Schulter rutscht. Es ist eines der sehr seltenen Bilder von einer betrunkenen Frau, denn dies galt in der Antike als amoralisch – im Gegensatz zu „männlicher“ Trunkenheit in der Öffentlichkeit! Das Original unseres Abgusses (Inv. Th 51) steht in der Glyptothek in München.
XvsY: „trauernde Penelope“ – gesittet, treu, präsentiert die Werte der Gesellschaft – versus „trunkene Alte“ – amoralisch, zügellos, enthemmt.