Der Parthenonfries befindet sich heute zum größten Teil im Britischen Museum in London; nur der Westfries verblieb am Parthenon auf der Athener Akropolis. Der etwa 160 m lange Fries umzog in ca. 14 m Höhe die Cella-Außenwand des Tempels. Die ursprünglich 50 cm dicken Friesblöcke wurden für den Transport nach England auf Plattenstärke zugerichtet. Bemalung und zahlreiche Bronzeappliken sollten zusammen mit der nach oben zunehmenden Reliefhöhe die Erkennbarkeit der maximal 1 m großen Figuren erleichtern. Der Tempel war der Athena Parthenos geweiht. Seine Errichtung läßt sich mit Hilfe von Bauurkunden in die Jahre 447- 432 v. Chr. datieren. Der Skulpturenschmuck wird in der Folge: Metopen - Fries - Athenastatue (438 v. Chr.) - Giebel fertiggestellt worden sein. Der Parthenonfries gibt in besonderer Auswahl und Gewichtung das große Panathenäenfest wieder, das 566/565 v. Chr. eingerichtet und seitdem alle vier Jahre im Sommermonat Hekatombaion gefeiert wurde; mit geringerem Aufwand fanden jährlich die kleinen Panathenäen statt. Die beiden ausgestellten Platten zeigen Szenen aus der Prozession, bei der ein gewebter Peplos an das Kultbild der Athena im alten Athena-Tempel (bzw. später im Erechtheion) übergeben wurde. Weitere Höhepunkte des Festes bildeten großartige Tieropfer, daran anschließende Bankette sowie athletische und musische Wettkämpfe. Platte Ost VII, Fig. 49-56: Der rechte Rand ist modern gebrochen. Ost VII und Ost VIII bildeten ursprünglich eine Platte. Die Kopfzone fehlt, die modernen Abarbeitungen erfolgten bei einer 1818/20 vorgenommenen und jetzt entfernten Ergänzung. Ein zugehöriges Fragment mit dem rechten Fuß der Fig. 49 in Athen, Akropolismuseum. Die Platte Ost VII zeigt links einen Mann, der einem heranschreitenden Frauenpaar gegenübersteht. Diese Dreiergruppe wird daneben ganz ähnlich wiederholt, rechts folgen zwei weitere Frauen. Die beiden Männer sind mit dem die rechte Schulter freilassenden Himation bekleidet; alle Frauen tragen den untergegürteten Peplos und einen den Rücken bedeckenden Mantel. Der Mann links hält mit beiden Händen ein leider größtenteils weggebrochenes tellerartiges Gerät. An der preziösen Hand- und Fingerstellung ist erkennbar, daß es nicht allzu schwer ist; vier - am Original sichtbare - Bohrlöcher dienten der Befestigung bronzener Henkel oder Binden. Wahrscheinlich handelt es sich um das Kanoun, einen Behälter für die Opfergerste und das darunter verborgene Opfermesser. Die Gerste wurde zur rituellen Reinigung über die Opfertiere und in das Feuer auf dem Altar gestreut. Der Mann, den man am treffendsten als priesterlichen Beamten bezeichnen wird, übergibt das Kanoun an die beiden Kanephoren (= Trägerinnen des Kanoun). Das Ehrenamt der Kanephorie war sehr prestigeträchtig und durfte nur von den Parthenoi (= Jungfrauen) aus den besten Familien ausgeübt werden (vgl. Thuk. 6,56,1). Auch der andere Mann hielt, wie das Stiftloch an der rechten Hand zeigt, ein bronzenes Attribut. Vielleicht war es ein Stab, wie er oft von Festordnern getragen wird (vgl. Pi. West XII Fig. 23). Mit dem ausgestreckten Zeigefinger der linken Hand dirigiert der Festordner die heranschreitenden Parthenoi und formiert sie zu Paaren (vgl. Thuk. 1,20,2 u. 6,57,1: Die Söhne des Peisistratos ordnen den Panathenäenzug). Offensichtlich wird hier die Spitze der Prozession gebildet, die sich auf die im Zentrum des Ostfrieses befindliche olympische Götterversammlung und die attischen Phylenheroen zubewegt. Nur die beiden ersten Paare gehen im Gleichschritt voran und zeigen die dem würdigen Ernst des feierlichen Ereignisses angepaßte Haltung, während die folgenden Parthenoi eine lockere und bisweilen sogar unruhige Reihe von Teilnehmern einleiten (vgl. die linke Seite des Ostfrieses: Pl. Ost 111). Platte Nord VI, Fig. 16-19/20: Die Platte ist bis auf einige Bestoßungen vollständig erhalten. Die Platte Nord VI wird von der Prozessionsspitze (PI. Ost VII) durch wenige Platten getrennt, die weitere Parthenoi mit verschiedenen Opfergeräten und vor allem Tierführer mit Opferrindern und -schafen zeigen. Drei Männer haben jeweils eine Kalpis geschultert. Sie sind alle mit dem die rechte Schulter freilassenden Himation bekleidet und setzen im Gleichschritt den rechten Fuß voran. Der vierte Träger bückt sich, um die Kalpis vom Boden aufzunehmen. Er wird fast vollständig verdeckt von einem langgewandeten Flötenspieler, der sich zum großen Teil auf der anschließenden Platte befand. Kalpiden sind, genau wie Hydrien, für den Transport von Wasser übliche Gefäße. Wie schon die Opfergerste diente das Wasser der Reinigung: Vor der Opferhandlung mußten die Hände gewaschen werden. Die Prozession des Frieses - von den Kanephoren über die Opfertiere bis hin zu den Wasserträgern und Flötenspielern - weist somit ausführlich auf die bevorstehende Opferhandlung hin. Beide Platten zeigen das für den gesamten Fries typische Bestreben, eine gleichförmige Reihung zu vermeiden. Gegen die Zugrichtung stehende, innehaltende sowie in die Tiefe gestaffelte Figuren, die oft in sehr flachem Relief gegeben sind, verleihen dem Bewegungsstrom ein rhythmisches Auf und Ab (Festordner Ostfries - PI. Ost VII 56, PI. Nord VI 19 - Frauenpaare Ostfries, PI. Nord VI 19). Auch auf den ersten Blick ähnliche Figuren variieren sowohl in der Körperhaltung als auch in der Gewanddrapierung (PI. Nord VI 16-18). Kompositionelle und handwerkliche Unterschiede im Fries lassen deutlich die Arbeit verschiedener Werkstätten erkennen. Diese wurden von einer demokratischen Baukommission ausgewählt und eingeteilt. Daß die künstlerische Leitung allein bei Phidias, und entsprechend die politische Verantwortung für das Bauprogramm bei Perikles gelegen habe, wie Plutarch berichtet (Perikles - Vita 13.), ist mit den zeitgenössischen Quellen nicht vereinbar. Lediglich der Zeitstil ist „phidiasisch“. Perikles kann wohl als Initiator oder Förderer des Bauvorhabens angesprochen werden; die eigentliche Führungsrolle aber hatte der Demos inne, wie gerade am Fries deutlich wird. Kein mythologisches Thema schmückt den Tempel, sondern ein Abbild des Demos. Dessen ohnehin schon prunkvolle Aufmachung aus Anlaß des Panathenäenfestes wird durch die idealisierende künstlerische Ausführung noch gesteigert: Es treten fast nur jugendlich-schöne Männer und Frauen auf, die Reiter sind überrepräsentiert (Reiter und Gespanne nehmen ca. zwei Drittel des Frieses ein). Auf eine individuelle Kennzeichnung einzelner Figuren des Frieses wird verzichtet, alle dienen gemeinsam der Verherrlichung des Demos. Das Selbstbewußtsein der Athener, hervorgerufen durch den siegreichen Ausgang der Perserkriege und manifestiert in der Hegemonie über die Mitglieder des attischen Seebundes, paart sich mit der Eusebeia (Frömmigkeit) gegenüber den Göttern. Wie auf einem Weihrelief ziehen die Adoranten vor die Gottheiten, die Athen in den Perserkriegen beigestanden hatten. Die neue Selbstdarstellung des Demos und der traditionelle Kult durchdringen sich am Parthenonfries in vielfältiger Weise.
E. Berger (Hrsg.), Parthenonkongress Basel 1982 (1984) mit Bibl.;
U. Muss - C. Schubert, Die Akropolis von Athen (1988).
Zum Fries: F. Brommer, Der Parthenonfries (1977), 29, 121, 214, 217;
R. Osborne, JHS 107, 1987, 98 ff.;
L. Beschi, in E. La Rocca (Hrsg.), L'Esperimento della Perfezione (1988) 234 ff.;
N. Himmelmann, in Festschr. H. Drerup (1988) 213 ff.;
M. Korres, in Festschrift E. Berger, AntK 15.Beih., 1988, 19 ff.;
L. Ziehen, in RE 18,3 (1949) 464, 466.