Die Bronzestatue eines Faustkämpfers wurde 1884 in den Fundamentgräben eines Gebäudes am Quirinal in Rom gefunden. Bei der Aufdeckung zeigte sich, daß sie dort in der Spätantike sorgfältig versteckt worden war, wodurch sich auch ihr vorzüglicher Erhaltungszustand erklärt. Dagegen bleibt der ursprüngliche Aufstellungsort der Statue ebenso ungewiß wie die Frage, ob es sich hier um ein Original oder eine römische Kopie handelt. Eine Künstlersignatur, die man auf den Schlagriemen zu erkennen glaubte, erwies sich nach der Restaurierung als spätere Zutat. Bis auf den Felssitz und kleinere Ausbesserungen wurden keine Ergänzungen vorgenommen. Die Augen muß man sich aus anderem Material eingesetzt vorstellen. Als einzige vollständige Darstellung eines Boxers in der Großplastik hat die Statue lebhafte Diskussionen in der Forschung ausgelöst, dennoch bleiben Fragen nach Heimat, Entstehungszeit und die genaue Bestimmung und Zuweisung zu einem Künstler offen.
Der Faustkämpfer sitzt in sperriger Haltung auf seinem Felssitz und hat in einer abrupten, schraubenartigen Bewegung seinen Kopf, der im Verhältnis zu dem massigen und muskulösen Körper auffallend klein ist, zu seiner rechten Seite und schräg nach oben gedreht. Diese zielgerichtete Kopfdrehung wirkt umso spontaner, als im Oberkörper die Bewegung nicht nachvollzogen wird. Die fest bandagierten und daher in den Handgelenken unbeweglichen Unterarme liegen so balancierend auf seinen Unterschenkeln, daß das Blut bis in die Fingerspitzen strömen kann. Durch die aufrechte Haltung wirkt hier der Körper ruhig und entspannt. Die unterschiedlich angewinkelten Beine, vor allem aber die nur mit der äußeren Kante der Ferse aufgesetzten Füße lassen den Stand eher unruhig erscheinen und stehen so im Gegensatz zur Haltung des Oberkörpers. Insgesamt scheint sich demnach der Faustkämpfer in nervöser und angespannter Verfassung zu befinden. Der in der Forschung kontrovers diskutierte zeitlich festgehaltene Augenblick, in dem der Boxer dargestellt sein soll, nämlich vor oder nach einem Kampf, läßt sich allein aus der Haltung nicht entscheiden.
Die Disziplin des Faustkampfes, gr. pygme oder pyx genannt, ist in der griechischen Vasenmalerei schon seit geometrischer Zeit vertreten und nimmt im 2. Viertel des 6. Jh.v.Chr. an Beliebtheit zu. Während in den frühesten Darstellungen noch gefütterte Fausthandschuhe, die unseren heutigen ähnlich sind, gebräuchlich waren, sehen wir auf einer Panathenäischen Amphore aus dem Jahre 336/5 v.Chr. die neuen, schweren Boxhandschuhe, die auch unser Faustkämpfer trägt. Diese als „caesti“ benannten Schlagriemen bestehen aus einem ovalen Metallring, durch den die Finger bis auf den Daumen durchgreifen. Der Ring ist mit Fell unterfüttert, das bis an die Ellbogen reicht und mit Lederbändern ganz fest um den Unterarm gewickelt wird. Auch der Typus des Boxers wird in der Vasenmalerei seit der 2. Hälfte des 4. Jh.v.Chr. festgelegt. Zu seinem Merkmalen zählen ein voluminöser und durchtrainierter Körper mit einem auffallend kleinen Kopf, an dem Verletzungen und Deformierungen gezeigt werden. Denn die Schläge zielen nur auf den Kopf, nicht auf den Körper.
In dem entstellten Gesicht unseres Faustkämpfers werden Spuren überstandener Kämpfe in veristischer Genauigkeit gezeigt. Seine verquollenen Ohren, die „Blumenkohlohren“, sind seit archaischer Zeit ein charakteristisches Merkmal vieler Sportler. Darüber hinaus zeugen aber die deformierte Nase, die Schwellungen an Stirn- und Wangenknochen und die geschwollenen Lippen neben den vielen kaum verheilten Wunden und Narben von der Brutalität des Faustkampfes. Die physische und psychische Belastung seines Berufes werden deutlich vor Augen geführt.
In dem Porträt eines Sportlers, das uns aus klassischer Zeit in einem Bronzekopf aus Olympia erhalten ist (Abguß Inv. 133), sind in abgeschwächter Form ähnliche Verletzungen im Gesicht herausgearbeitet. Daß es sich also auch hier um einen Faustkämpfer handelt, ist evident. Zu seinem zerschundenen Gesicht passen die zerzausten Strähnen, die wirr und zottelig den Kopf einrahmen und somit ein homogenes Bild ergeben.
Eine ganz andere Auffassung vermittelt der Faustkämpfer im Thermenmuseum. Im Gegensatz zu seinem wüst wirkenden Gesicht fällt der systhematische Aufbau der Haupt- und Barthaare auf. Die kurzen, über der Stirn aufspringenden Büschel fallen in gleichmäßigem Schwung zurück auf die dahinter parallel nebeneinanderliegenden gleichgroßen Locken. So ergibt sich ein Rhythmus, der nur durch einzelne Büschel unterbrochen wird und die Haarmasse auf den ersten Blick unordentlich erscheinen läßt. Noch deutlicher kommt die auf Ordnung bedachte Gliederung im Vollbart zum Ausdruck.
Diese klassizistische Haarbehandlung ist in der Literatur verschiedentlich als Argument für eine Datierung ins mittlere 1. Jh.v.Chr. angeführt worden. Für andere Forscher dagegen war die Blockhaftigkeit der Statue und ihr strenger allansichtiger Aufbau ein Grund, den Faustkämpfer bereits ins späte 3. Jh.v.Chr. zu datieren. Da es leider keine befriedigenden Vergleichsbeispiele gibt, muß die Frage nach einer genaueren zeitlichen Einordnung offen bleiben.
Aufgrund der kontrastierenden Darstellung von Gesicht und Haartracht könnte man daran denken, dem Faustkämpfer eine über die „reine“ Sportlerdarstellung hinausgehende Bedeutung zu geben. So vermutet E. Simon, wie andere vor ihr, in der Statue eine mythische Figur und weist in dem Zusammenhang auf ihre „heroische Physiognomie“ hin, die sich mit Heraklesdarstellungen vergleichen läßt. So könnte unser Boxer den Bebrykerkönig Amykos darstellen, einen Sohn des Poseidon. Amykos verweigert den Argonauten, die auf der Fahrt nach Kolchis, dem Land des Goldenen Vlieses, an der Küste von Bithynien landen, die Rast an einer Quelle und fordert den Dioskuren Polydeukes zum Faustkampf heraus. Polydeukes besiegt und fesselt ihn. Dieser in der Antike sehr bekannte Mythos (Theokrit 22,27ff.) stellt ein Gleichnis zwischen dem grausamen Barbarentum (verkörpert von Amykos) und der hellenistischen Kultur dar. Unterstützt wird E. Simons These durch einen um 300 v.Chr. entstandenen Spiegel aus Palestrina, der die Szene kurz vor dem Kampf wiedergibt. Allerdings hat Amykos nur entfernt Ähnlichkeit mit unserem Faustkämpfer. Dieser Mythos setzt außerdem voraus, daß die Statue im Gruppenzusammenhang aufgestellt war, wofür es jedoch keinen sicheren Anhaltspunkte gibt. Die heftige Kopfwendung zur Seite setzt zwar ein Ziel voraus, auf das der Blick gerichtet war, möglicherweise aber könnte dieses Zeil der Betrachter selbst sein, so daß der Faustkämpfer als Einzelfigur denkbar wäre.
Neue Argumente, die Statue doch als „reine“ Sportlerdarstellung zu interpretieren, hat N. Himmelmann geliefert. Man schrieb in der Antike den Athletenstatuen Heilkräfte zu, die durch Berührung übertragen werden konnten. Auch unser Faustkämpfer weist Spuren an Zehen und einigen Fingern auf, die durch ständiges Anfassen im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind. (Bei unserem Gips ist dies wegen der gleichmäßig aufgetragene Bronzefarbe nicht sichtbar.)
Helbig4 III, Nr. 2272 (W. Fuchs);
E. Simon, Gymnasium 84, 1977, 363ff.;
H. P. Laubscher, Fischer und Landleute (1982) 68ff.;
D. Kyle, Athletics in Ancient Athens (1987);
N. Himmelmann, FAZ vom 4. 11. 1987.