Die Statue ist nur in kaiserzeitlichen Kopien erhalten. Das vollständigste und bekannteste Exemplar steht in der Münchner Glyptothek (erworben von Ludwig I.). Dort hat man die Ergänzungen des Bildhauers Cavaceppi (18. Jh.) abgenommen. An unserem Abguß Inv. 579 sind sie zum Teil noch zu sehen (linke Hand der Eirene mit Kanne, beide Arme des Knaben; der von Cavaceppi mit einem Zepter ergänzte rechte Arm fehlt auch hier). Der Kopf des Knaben ist zwar antik, aber nicht zugehörig. In der Glyptothek wurde er durch einen Abguß des Kopfes einer 1881 gefundenen weiteren Kopie (aus dem Piräus, jetzt in Athen) ersetzt.
Die Münchner Statue, deren Fundort nicht bekannt ist, gehörte zur Zeit Winckelmanns und Goethes zu den Prunkstücken der Antikensammlung des Kardinal Albani und stand in der Galleria nobile der Villa Albani in Rom. Damals wußte allerdings niemand, daß die Figur „Eirene“, d.h. die Verkörperung des „Friedens“ (im Griechischen weiblich), mit „Ploutos“, der Personifikation des „Reichtums“, darstellt. Die Altertumskenner des 18. und 19. Jh. suchten in den archäologischen Denkmälern Figuren, die ihnen aus der Mythologie bekannt waren. Da Dionysos die Gottheit ist, deren Kindheit in den bildlichen Darstellungen die weiteste Verbreitung gefunden hat (z.B. auf Sarkophagen), hielt Winckelmann das Werk zunächst für die Darstellung des Dionysosknaben auf dem Arm der mütterlichen Göttin par excellence, Hera bzw. Juno (Geschichte der Kunst, 1764). Zwei Jahre später (in „Versuch einer Allegorie besonders für die Kunst“) schlug er eine „gelehrtere“ Deutung vor: Ino Leukothea mit dem Dionysosknaben. Ino Leukothea war die Schwester von Dionysos' Mutter Semele, die von Zeus' Blitz getötet wurde, als ihr Wunsch, den Vater ihres Kindes in seiner wahren Gestalt zu sehen, erfüllt wurde.
Erst im Jahre 1859 gelang dem Archäologen Stephani durch die Kombination von zwei antiken Textstellen und kaiserzeitlichen Münzen die richtige Benennung:
Pausanias kommentiert in seiner Reisebeschreibung (IX 16,2) eine Kultstatue der Tyche, d.h. der Schicksalsgöttin, folgendermaßen: „Auch das ist eine kluge Erfindung dieser Künstler, der Tyche als Mutter oder Amme einen Ploutos in die Hände zu geben, nicht weniger klug als die des Kephisodot. Denn auch dieser schuf den Athenern die Statue der Eirene mit dem Ploutosknaben.“ Ebenfalls von Pausanias (I 8,2) erfahren wir, daß die Eirene-Statue im westlichen Teil der Agora von Athen stand. Der Künstler ist wahrscheinlich der Vater des attischen Bildhauers Praxiteles. - Kaiserzeitliche Münzen, die in Athen geprägt wurden, bilden das Vorbild der Münchner Statue ab und erlauben damit eine Lokalisierung dieser Figurengruppe in Athen. Stephanis Identifizierung wurde 1881 bestätigt, als im Piräus das Fragment einer weiteren kaiserzeitlichen Marmorkopie gefunden wurde, das neben dem Ploutosknaben ein großes Füllhorn in der Hand der (bis auf den linken Unterarm verlorenen) Eirene zeigt. Mit einem Füllhorn, dem Attribut des „Reichtums“, war auch die auf den Münzen abgebildete Figurengruppe ausgestattet. Außerdem überliefert das Fragment den Kopf des Ploutos (s.o.).
Inzwischen sind zwölf mehr oder weniger stark fragmentierte kaiserzeitliche Kopien dieser Figurengruppe bekannt. Vor kurzem wurde sogar ein Fragment eines antiken Gipsabgusses vom Original (Oberkörper des Ploutos) gefunden. Da im gleichen Fundkomplex nur Abgüsse von antiken Bronzestatuen zutage kamen, erhärtete sich dadurch die seit langem gehegte Vermutung, daß das Werk des Kephisodot aus Bronze war. - In unserer Abgußsammlung besitzen wir außer dem Münchner Exemplar den Torso der Eirene aus Cumae. An dieser Replik kann man die Gewandbehandlung besser studieren als bei dem lange bekannten Münchner Stück, dessen Oberfläche von Cavaceppi „geglättet“ wurde. Die Art, in der die Körperformen, teils durch die Faltenführung betont (Brust, Spielbein), teils von voluminösen Stoffpartien verdeckt werden (Hüften), unterscheidet die Eirene von älteren Statuen, die ebenfalls Frauen im Peplos (Gewand aus dickem Wollstoff) zeigen (s.u.).
Die Eirene-Ploutos-Gruppe erscheint auf Panathenäischen Preisamphoren des Jahres 360/59 v.Chr. So können wir sicher sein, daß sie zu diesem Zeitpunkt bereits aufgestellt war. Eine obere zeitliche Grenze für die Entstehungszeit können wir wiederum der antiken Literatur entnehmen: Bei dem Redner Isokrates (XV 109f.) und dem Biographen Cornelius Nepos (Timoth. 2,2) lesen wir, daß in Athen im Jahre 374 v.Chr. nach einem Seesieg über die Spartaner Opfer für den Frieden dargebracht wurden, die jährlich wiederholt werden sollten. In den darauffolgenden Jahren wurde nach kriegerischen Auseinandersetzungen mehrfach ein „allgemeiner Frieden“ verkündet. Weder im Zusammenhang mit den jährlichen Opfern, die immerhin einen dafür aufgestellten Altar voraussetzen, noch mit den Friedensschlüssen ist von der Errichtung einer Statue die Rede. Vor der Einrichtung der Friedensopfer ist die „Erfindung“ der Eirene mit Ploutosknaben aber nicht vorstellbar.
Bei der Statuengruppe des Kephisodot handelt es sich um eine tiefsinnige Schöpfung, die Pausanias auch als solche würdigte (s.o.). Die Personifikation des „Friedens“ trägt den „Reichtum“ auf dem Arm, der noch ganz klein ist, vertrauensvoll zum „Frieden“ aufblickt und durch die Fürsorge des „Friedens“ erst noch gedeihen muß. Eirene trägt den untergegürteten Peplos, wie ihn die matronalen Göttinnen des 5. Jh. trugen, aber ihre frei fallenden langen Haare verdeutlichen, daß sie ein junges Mädchen ist, nicht die Mutter, sondern die Kourotrophos, die das Kind aufzieht. Als Mutter des Ploutos galt Demeter, die für die Ernte, den Quell des Reichtums in einer bäuerlichen Gesellschaft, verantwortlich war. Kephisodot zeigte dagegen in seiner Schöpfung, daß der „Wohlstand“ durchaus nicht nur von der Natur abhängt, sondern auch von den Bedingungen, die sich die Menschen für ihr Zusammenleben schaffen. Insofern war dieses „Friedensbild“ ein Appell an die Vernunft, eine Ermahnung, das Schicksal der Polis durch Einsicht so zu gestalten, daß Aussicht auf eine vielversprechende Zukunft bestand.
B. Vierneisel-Schlörb, Glyptothek München Katalog II (1979) 255ff. Nr. 25;
A. Allroggen-Bedel in: Forschungen zur Villa Albani (hrsg. v. H. Beck - P. C. Bol) (1982) 310f. 377;
I. Scheibler, in: Antike Welt 15, 1984, 39ff.; Chr. Landwehr, Die antiken Gipsabgüsse aus Baiae (1985) 103f.;
N. Eschbach, Statuen auf Panathenäischen Preis-amphoren des 4. Jh. v. Chr. (1986) 58ff. 159. 168;
LIMC III (1986) 700ff. s. v. Eirene (E. Simon).