Der verkrüppelte Oberkörper mit dem skeptisch blickenden Porträtkopf in der Villa Albani wurde früher mit dem sagenhaften griechischen Fabeldichter Aesop verbunden. Diese Annahme beruhte auf der Nachricht von der Mißgestalt des Aesop, die sich jedoch nicht sicher bis ins Altertum zurückverfolgen läßt. Aesop - in Phrygien geboren - soll anfangs als Sklave verschiedenen Herren gedient und später als Freigelassener und Spaßmacher am Hofe des Kroisos gelebt haben. Im Altertum gab es mehrere berühmte Statuen des Aesop, so z.B. eine des Lysipp, mit der unsere Halbfigur jedoch aus chronologischen Gründen sicherlich nicht zusammengebracht werden kann.
Auf Grund seiner realistischen Darstellungsweise ist das Original des Körpers nicht vor dem frühen Hellenismus denkbar. In antoninischer Zeit wurde eine Kopie der hellenistischen Krüppelstatue mit einem zeitgenössischen Porträt verbunden. Sieveking dachte deshalb an die Deutung als einen Spaßmacher des kaiserlichen Hofes.
Betrachten wir zunächst den Körper eingehender. Von den Armen und Beinen der Figur sind nur Ansätze vorhanden. Sie sind an der Vorlage unseres Abgusses, dem Exemplar der Villa Albani, mit Gips verschmiert, so dass sich nicht sicher entscheiden läßt, ob in der Antike mehr vorhanden war. Wenn der heutige Bestand (die linke Schulter, ein Teil des Hinterkopfes, die Nase sowie das Feigenblatt vor dem Genital sind ergänzt) den antiken Zustand wiedergibt, so muss dieser auf den römischen Kopisten zurückgehen. Das vorauszusetzende griechische Original muss meines Erachtens den vollständigen Körper wiedergegeben haben. Freilich dürfte sich der Gesamteindruck durch die schwächlichen Gliedmaßen nicht deutlich unterschieden haben. Die Hauptaussage liegt ohne Zweifel im verkrüppelten Oberkörper.
Der bucklige Rücken mit dem hervortretenden Rückgrat und dem vorstehenden Brustkasten mit dem verkümmerten Bauch sprechen für ein genaues Naturstudium. So war unser Torso im späten 19. Jh. beliebtes Objekt einer vor allem von der französischen Medizin verfolgten Richtung, bestimmte Krankheitsbilder an antiken Plastiken zu diagnostizieren. An ihm glaubte man das Pottsche Übel zu erkennen.
Die ganze Drastik der Figur erschließt sich dem Betrachter erst, wenn er sie umschreitet, zumal dann der mäßigende Eindruck des Kopfes wegfällt. Diese Mehransichtigkeit und der scharfe Realismus der Figur sprechen für eine Entstehungszeit im 3. Jh.v.Chr. In dieser Zeit finden wir vielfältige Vergleiche für die Mißgestalt unter den alexandrinischen Terrakotten. So entspricht unserer Figur eine Statuette in Hildesheim gut im Verhältnis vom gewölbten Rücken und geblähten Bauch zu den dünnen Beinchen (s. Abb.). Mit anderen Statuetten verbindet sie die faltige Hautwiedergabe unter dem rechten Arm.
Großplastisch stellt unsere Figur bisher einen Einzelfall dar. Relativ nahe im Format kommt ihr lediglich eine Granitstatuette in Brooklyn, die einen am Boden sitzenden Mann mit ähnlichen Deformationen des Oberkörpers zeigt, im Realismus der Körpergestaltung jedoch nicht so weit geht.
Ganz im Gegensatz zu den alexandrinischen Krüppelstatuetten, deren Köpfe verzerrte abnorme Formen zeigen, sitzt dem kurzen Hals des Torsos in der Villa Albani ein Porträtkopf antoninischer Zeit mit realistischen, aber keineswegs missgestalteten Formen auf. Charakteristisch ist der beinahe lauernd nach rechts oben gerichtete Blick und der ironische Mund. Der geistvolle Gesichtsausdruck des Mannes steht in krassem Gegensatz zu seinem erbarmungswürdigen Körper. Diese Diskrepanz zwischen psychischer Kraft und physischer Schwäche muss für den Porträtierten ganz charakteristisch gewesen sein und enthält deshalb wohl auch den Schlüssel zur Deutung.
Der Kontrast zwischen der Hinfälligkeit des Alters und der Überlegenheit des Geistes war im Hellenismus bereits für Statuen wie etwa die des Chrysipp (Abguss Th. 39) kennzeichnend gewesen. Noch weit darüber hinausgehend hatten sich die Kyniker zum Lebenszweck erkoren, ihre Umwelt durch die schroffe Opposition gegen das Herkömmliche und Normierte zu schockieren. Dies äußerte sich in einer weitgehend bedürfnislosen Lebensweise, die mit der von Hunden (Hund gr.= κύων ) verglichen wurde. Die hellenistische Bildnisstatue des Diogenes (Abguss Inv. 410), des bekanntesten Vertreters dieser Richtung, zeigt einen vom Alter gebeugten Mann, der sich nicht scheut, seinen welken Leib mit dem dicken Bäuchlein nackt zu präsentieren. Sein langer, gepflegter Bart weist ihn jedoch als Philosophen aus. Dieser Bart unterscheidet ihn z.B. deutlich von dem armseligen Fischer (Abguss Th. 99) mit dem schütteren Bartwuchs.
In Fortsetzung dieser Tradition wäre als extremer Ausdruck kynischen Denkens evtl. auch die Kombination von verkrüppeltem Körper und geistvollem Porträt in der Villa Albani vorstellbar. Berücksichtigen muss man dabei freilich, dass gerade im 2. Jh.n.Chr., in das der Porträtkopf zu datieren ist, zwar die griechischen Philosophenschulen eine neue Blütezeit erlebten, sich der Kynismus jedoch nicht rein erhalten, sondern stark mit dem Gedankengut anderer philosophischer Richtungen vermischt hatte.
Möglicherweise ist deshalb doch wieder auf Sievekings Vorschlag vom Spaßmacher am kaiserlichen Hofe zurückzukommen, belegen doch zahlreiche Quellen, wie gerne sich die vornehme römische Gesellschaft über Kinder fremder Völkerschaften, Zwerge und verkrüppelte Menschen amüsierte. Genauso wie für die kleinen Kinder (deliciae) Statuen errichtet wurden, ist es denkbar, dass man auch eine Statue vom geistreichen Hofnarren mit dem verwachsenen Körper anfertigen ließ.
E. Holländer, Plastik und Medizin (1912) 317 f. Abb. 210 f.;
G. M. A. Richter, The Portraits of the Greeks I (1965) 72 f. Abb. 265;
Helbig4 (1972) Nr. 3273 (v. Heintze) mit weiterer Literatur;
Kaiser Marc Aurel und seine Zeit (1988) Hrsg. K. Stemmer, 43 D 10 (Potthoff);
Forschungen zur Villa Albani I (1989) Hrsg. P. C. Bol, Kat. Nr. 75 Taf. 126-129 (R. Bol);
Zu den Vergleichen: N. Himmelmann, Alexandria und der Realismus in der griechischen Kunst (1983).