Die abgebildeten, als Abgüsse in unserer Sammlung vertretenen Skulpturen schmückten einst das Hauptwerk der Pergamenischen Kunst, den Großen Altar. Dessen Fundamente können noch heute auf einer Terrasse des Burgbergs von Pergamon besichtigt werden. Die Reliefs, vollplastische Figuren und eine Anzahl von Architekturteilen, die in byzantinischer Zeit größtenteils verbaut worden waren, gelangten im letzten Viertel des 19. Jh. nach Berlin, wo der Altar zum Teil rekonstruiert wurde.
Der eine Grundfläche von 35,15 x 33,70 m einnehmende Bau war über 10 m hoch. Auf einem Podium, in dessen Frontseite eine fast 20 m breite Treppe einschnitt, erhob sich eine ionische Säulenarchitektur, die auch auf den Treppenwangen um die Zungenmauern herumgeführt war. Durch die Frontsäulenreihe über der Freitreppe konnte man den Innenhof betreten, in dem der eigentliche Aschenaltar stand.
Das gesamte Bauwerk war mit Skulpturen geschmückt: Das Podium umlief außen ein Fries in Hochrelief, auf dem der Kampf der Götter mit den Giganten dargestellt war. An den drei geschlossenen Wänden des Innenhofes zog sich ein Reliefband entlang, auf dem der Gründungsmythos von Pergamon, die Telephossage, erzählt wurde. In den Interkolumnien der Säulenarchitektur standen bzw. saßen vollplastische Frauengestalten. Das Dach der „Halle“ bekrönten Akrotere und eine Vielzahl von Quadrigen. Sowohl beiderseits der Eingänge zum Innenhof wie auf den Wangen des Aschenaltars dürften ebenfalls Skulpturen aufgestellt gewesen sein.
In unserer Sammlung sind drei Bereiche der plastischen Ausstattung des Pergamonaltars vertreten:
Wir besitzen Abgüsse nach drei Platten des 2,30 m hohen und 120 m langen Gigantomachiefrieses. Auf zweien ist die auf einem Pferd reitende Göttin Eos, auf der dritten eine weitere weibliche Figur (Nyx?), die ein schlangenumwundenes Gefäß nach ihrem Gegner schleudert, dargestellt.
Vier Abgüsse nach Reliefplatten des 1,58 m hohen Telephosfrieses sind vorhanden. Auf zwei Platten wird der Bau des Bootes für Auge und die Ankunft der Schwangeren in Mysien geschildert. Eine Platte zeigt die Auffindung des Telephos durch seinen Vater Herakles und eine weitere die Begrüßung des Telephos durch König Teuthras.
Die sogenannte Tragodia war wohl zusammen mit anderen Frauenfiguren in den Interkolumnien der Säulenarchitektur aufgestellt. P. Zanker vermutete, daß es sich nicht, wie urspünglich angenommen, um Musen, sondern um Personifikationen der Städte des Pergamenischen Reiches handelt.
Besonders die Nyx (?) des Großen Frieses ist ein glänzendes Beispiel für die Bewegtheit hochhellenistischer Skulptur. Charakteristisch ist auch die Vehemenz der im Schlachtgetümmel dargestellten Göttin. Ganz anders geartet sind die ruhigen, klassizistisch anmutenden Szenen des Telephosfrieses. Die sogenannte Tragodia entspricht in ihrer Körperlichkeit und der üppigen Kleidung den Frauenfiguren des Großen Frieses.
Bisher gelang es trotz älterer Scherben- und Fundamentfunde im Unterbau des Monuments nicht, die Entstehungszeit des Altars genau festzustellen. Die oben beschriebenen Eigenarten des Figurenschmucks lassen jedoch nur die erste Hälfte des 2. Jh.v.Chr. als Bauzeit in Frage kommen. Der Beginn der Arbeiten wird aus historischen Gründen zumeist um 180 v. Chr. angesetzt. Man meint, daß der Gigantenkampf im Großen Fries auf ein Ereignis des Jahres 190 v. Chr., nämlich den Sieg Eumenes' II. von Pergamon über die Seleukiden und Gallier bei Magnesia am Sipylos anspielt. Ein Entstehen des Monuments seit etwa 181 v. Chr., dem Jahr der ersten Nikephorenfeier, die sich auf den Sieg des Eumenes bezog, ist mithin wahrscheinlich. Über die Dauer der Bauarbeiten herrscht hingegen keine Einigkeit. Heute neigt man dazu, diesen Zeitraum nicht allzulange anzusetzen, da dem Altar ein einheitlicher Plan zugrundelag. Früher glaubte man die Einstellung der Bauarbeiten mit dem Tod des Eumenes im Jahre 159 v. Chr. verknüpfen zu können, da die Architektur des Innenhofs wie der Telephosfries zum Teil unausgeführt blieben.
Im Gigantomachiefries wird wohl der Kampf des griechischen Fürsten von Pergamon gegen die barbarischen Gallier mit jenem der Götter gegen die Giganten gleichgesetzt und so die Niederringung der Barbaren durch das Griechentum gefeiert.
Der Telephosfries verweist auf die mythische Abstammung des pergamenischen Herrscherhauses. Damit wird die Regierung des Eumenes wie auch seiner Vorgänger und Nachfolger aus der Attaliden-Familie legitimiert. Ähnlich wie andere hellenistische Dynastien gründeten die Attaliden ihren Herrschaftsanspruch auf ihre Verwandtschaft mit den Olympischen Göttern. Ihre Abkunft vom Heros Telephos läßt sie über Herakles genealogisch aufs engste mit Zeus verbunden sein.
Zeus erscheint nun auf der Haupt-, nämlich der Ostseite des Gigantomachiefrieses zusammen mit Pergamons Stadtgöttin, seiner Tochter Athena, im Kampf gegen die Unholde. Die Darstellungen dieser beiden eng mit der Stadt wie der Herrscherdynastie verbundenen Olympier waren direkt gegenüber dem Eingang des ummauerten Altarbezirks angebracht. Damit war der eintretende Besucher bzw. Festteilnehmer zuerst mit ihnen konfrontiert. Zudem waren die siegbringende Athena (Nikephoros) und ihr Vater wohl auch die Inhaber des Altars. Nicht nur ihre Darstellung im wichtigsten Abschnitt des Ostfrieses und das besondere Verhältnis des Eumenes wie der Stadt zu ihnen, sondern auch der achsiale Bezug zum eine Geländestufe - etwa 25 m - höher gelegenen Athena-Tempel machen dies sehr wahrscheinlich.
War der Gigantomachiefries auf ein aktuelles politisches Ereignis, der Telephosfries auf die Legitimation der Herrscherfamilie gemünzt, so dürfte es sich bei der sogenannten Tragodia und ihren „Schwestern“, die in den Interkolumnien des Oberbaues standen, um Städtepersonifikationen gehandelt haben, die einträchtig nebeneinander aufgereiht das Pergamenische Reich symbolisierten, auf dessen Einheit der Herrscher, nämlich Eumenes, bedacht war.
Der Pergamonaltar steht in der Tradition anderer ionischer Altarbauten, steigert deren Aufbau jedoch ins Monumentale, ja Riesenhafte. Eine Besonderheit ist das Skulpturenprogramm, dem in der Antike nur wenig Gleichrangiges gegenübergestanden haben dürfte (z.B. der plastische Schmuck des Parthenon). Die Friese und auch die freiplastischen Figurenansammlungen sind lesbar. Je nachdem, mit welchen Bereichen des Skulpturenschmucks sich der Betrachter befaßt, erscheint das Monument als Siegesmal eines hellenistischen Fürsten, als dynastisches Denkmal oder auch als Schaubild des ganzen Reiches mit seiner Vielzahl von Städten, deren Personifikationen auf die herrschende Tryphe (Fülle) und damit auch auf das gute Regime der Attaliden hinweisen.
Besonders interessant erscheint auch, daß die wohl etwa gleichzeitigen, gemeinsam konzipierten Friese einen unterschiedlichen Stil aufweisen. Dies ist wohl nur dadurch erklärbar, daß man verschiedene Erzählformen (den heroischen Zweikampf bzw. eine kontinuierliche Szenenabfolge aus einer Heroenbiographie) adäquat umsetzen wollte. So wirkt der Große Fries emphatisch und barock, der Telephosfries aber zurückhaltend, klassizistisch.
J.J. Pollitt, Art in the Hellenistic Age (1986) 97 ff;
W. Radt, Pergamon (1988) bes. 190 ff;
wichtige Literatur ebenda 374;
W. Hoepfner, AA 1989, 601 ff., bes. 619 ff mit Zusammenfassung des Forschungsstandes