Der Statuentypus, der nur in kaiserzeitlichen Kopien überliefert ist, wurde nach dem Torso (Abguß Inv. 480) benannt, der anscheinend im 16. Jh. zu der Antikensammlung des römischen Geistlichen Giustini gehörte. Dem Torso fehlt das Attribut, das ihn als Heilgott kennzeichnet. An anderen Kopien des gleichen Originals sind unter der rechten Achsel zumindest Ansätze des Schlangenstabes zu erkennen, auf den sich die Figur aufstützte.
Im allgemeinen wird Asklepios bemerkenswert gleichförmig dargestellt. Fast alle Statuen zeigen ihn ruhig stehend, auf den langen Schlangenstab gestützt und mit einem Mantel sowie Sandalen bekleidet. Häufig ist die Hand an die Hüfte der Standbeinseite gelegt. Den stets bärtigen Kopf rahmen in der Regel lange Locken. Bei dieser einheitlichen Ikonographie sind es vor allem die Gewanddrapierungen und die Faltenmotive, die Variationsmöglichkeiten bieten.
Beim Asklepios Giustini wird der Mantel, der die rechte Brust wie gewöhnlich frei läßt, mit einem großzügigen Schwung von der rechten Achsel zur linken Körperseite geführt, wo er sich über den Ellbogen des in die Hüfte gestemmten linken Armes spannt und in üppigen Röhrenfalten vom linken Oberarm herabfällt. Mit der breiten oberen Hälfte der Figur kontrastiert der schmale Unterkörper, der eng vom Mantel umhüllt ist. Nur wenige Falten springen von der Standbeinhüfte und dem Spielbeinknie auf und beleben die glattgezogenen Mantelflächen. Im Unterschenkelbereich bilden zwei steil aufeinanderzulaufende Faltengrate ein „V“.
Es war lange strittig, wie der Kopf ausgesehen hat, denn die Kopisten kombinierten diese Figur mit unterschiedlichen Kopftypen. Vor wenigen Jahren wurde in den Thermen von Argos (Griechenland) der zu einem bereits früher dort gefundenen Torso passende Kopf entdeckt, der eine Replik des Kopfes der Florentiner Statue ist und damit diesen Kopftypus für das Original sichert. Von dem Kopf gibt es sechs weitere einzelne, d.h. ohne Körper überlieferte Repliken, davon eine in der Münchner Glyptothek (Abguß Inv. 566). Einige tragen wie das Münchner Exemplar eine reifartige Wulstbinde.
Mittlerweile sind von der ganzen Statue elf Repliken (darunter die beiden eben erwähnten mit Kopf) in unterschiedlichen Größen (0,30 m bis 2,20 m) bekannt.
Das Original wird überlebensgroß gewesen sein. Die hart gegeneinander gesetzten Gewandbahnen mit den kantigen Faltenstegen sprechen für ein Bronzeoriginal. Es ist im frühen 4. Jh. entstanden. Da auf attischen Weihreliefs des späten 4. Jh. Asklepiosfiguren dieses Typus vorkommen, stand der Asklepios Giustini wahrscheinlich in Athen.
Datierung und Funktion des Originals sind allerdings umstritten. Berger vertrat die These, der Asklepios Giustini sei eine klassizistische Schöpfung des späten 2. oder 1. Jh.v.Chr., die typologisch von einem (hypothetischen) Asklepiosstandbild des mittleren 5. Jh. in Epidauros abhinge. Dem widersprechen die eben erwähnten Figuren auf Weihreliefs. Es ist öfters vermutet worden, das Original sei das Kultbild des Asklepiosheiligtums am Südabhang der Akropolis in Athen gewesen. Das läßt sich nicht beweisen, hat aber wegen der Wirkungsgeschichte des Typus, die auf ein bekanntes und zugängliches Original schließen läßt, einiges für sich.
Noch im 4.Jh. wurden nämlich zwei (ebenfalls nur in Kopien überlieferte) Asklepiosstatuen geschaffen, die die Haltung und Gewandgestaltung des Asklepios Giustini - in jeweils veränderter Form - aufnahmen.
Eine Kopie einer dieser späteren, vom Asklepios Giustini abgeleiteten Statuen ist in Abguß Inv. 398 zu sehen. Allerdings sind bei diesem Stück der gesamte Unterkörper ab Kniehöhe und der rechte Arm mit dem Schlangenstab ergänzt. Der Kopf ist zwar antik, aber modern aufgesetzt und gehört nicht zu diesem Typus. Übrig bleibt ein Torso, dem man deutlich ansieht, daß der Körper im Vergleich zu dem des Asklepios Giustini stärker geschwungen war; der Mantelbausch hängt schwerer herab und ist voluminöser. Wie vollständigere Kopien des gleichen Statuentypus zeigen, wurden die Gewandmotive gegenüber denen des Asklepios Giustini stark verändert. Auf das V-Motiv vor den Unterschenkeln wurde verzichtet, stattdessen zog sich von der Standbeinhüfte zum Spielbeinfuß ein Bündel locker durchhängender Falten. Diese Art der Gewandgestaltung betonte also stark den Kontrast zwischen tragendem Standbein und entlastetem Spielbein. Das Original wird um die Mitte des 4. Jh. entstanden sein. Der zugehörige Kopftypus ist nicht bekannt. Auch diese Statue wurde als Vorbild für Asklepiosfiguren attischer Reliefs verwendet.
Asklepios war keiner der traditionellen griechischen Götter, sondern ursprüngich ein Heilheros in Thessalien/Nordgriechenland. Im Mythos spielte er überhaupt keine Rolle. Er war ausschließlich ein Gott des Kultes, an den sich die Menschen mit der Bitte um Heilung und der Danksagung für Genesung wandten. Über die Anfänge der Asklepiosverehrung wissen wir wenig. Seit dem 5. Jh. war Epidauros das Zentrum des Asklepioskultes. Von dort aus wurden seit dem späten 5. Jh. Filialheiligtümer gegründet, z.B. im Jahre 419/18 v.Chr. in Athen. Früher hatte man der Heilkraft der Heroen oder der Göttin Athena vertraut. Die rasch wachsende Popularität des „neuen“ Heilgottes erklärt sich wenigstens zum Teil aus der Verunsicherung, die durch die politische und ökonomische Krise um 400 v.Chr. (Peloponnesischer Krieg, Ende des ersten attischen Seebundes) hervorgerufen wurde. Während des 4. Jh. wandten sich die Menschen bevorzugt Gottheiten zu, von denen sie wirksamere Hilfe erwarteten als von den fernen Göttern ihrer Väter.
Der Asklepios Giustini ist eine der frühesten und offenbar auch eine der wichtigsten Statuen des Heilgottes. Zwar ist die Zahl der Kopien nicht besonders groß, aber eine ganze Reihe von Umbildungen und Varianten zeugen von dem Bekanntheitsgrad dieser Statuenschöpfung. Wir wissen, daß das Kultbild von Epidauros, dem Zentrum des Asklepioskultes, ganz anders aussah; es war eine Sitzstatue. So bleibt es eine ansprechende Vermutung, in dem Asklepios Giustini das Kultbild des Athener Heiligtums zu sehen.
U. Hausmann, Kunst und Heiltum (1948);
B. Vierneisel-Schlörb, Glyptothek München. Katalog II (1979) 216 ff.;
E. Berger in: Praestant interna. FS für U. Hausmann (1982) 63 ff.;
V. Uhlmann, HASB 8, 1982, 27 ff.;
LIMC II (1984) 863ff. s. v. Asklepios (B. Holtzmann);
M. Meyer, AM 103, 1988, 119 ff.