Gefunden wurde die aus pentelischem Marmor bestehende Statue 1879 auf dem Esquilin in der Via Gioliti. Ergänzt: Teile des Haarknotens, Nasenspitze, Teile der rechten Hand, einige Mantelpartien an der linken Seite. Der Kopf ist gebrochen.
Anscheinend ganz in Gedanken versunken sitzt das Mädchen mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Diphros (Hocker). Mit dem rechten Arm stützt es sich auf den rechten vorderen Stuhlbeinknauf auf. Der dabei schräg nach unten, offenbar ins Leere gerichtete Blick suggeriert zunächst ein In-sich-versunken-sein. Durch die Art, wie der in den Mantel gehüllte linke Arm auf den linken Oberschenkel aufgestützt und die linke Hand schräg nach oben geführt ist, bekommt die Haltung des Mädchens jedoch auch einen koketten Zug. So hat man zugleich den Eindruck - besonders wegen des Motivs des übergeschlagenen Beines in Verbindung mit dem aufgestützten Ellenbogen -, daß der Betrachter von dem Mädchen nicht ganz unbemerkt bleibt. Tritt man auf die rechte Seite der Statue und betrachtet die in der Vorderansicht vom linken Arm verdeckte Partie, bekommt man plötzlich eine ganz konkrete Erklärung für das etwas gezierte Sitzen. Denn der unter dem Mantel getragene Chiton ist dem Mädchen auf der linken Seite von der Schulter gerutscht, der linke Arm scheint die entblößte Brust vor dem Betrachter verbergen zu wollen. Repliken der Statue legen nahe, daß die verlorene linke Hand kein Attribut hielt.
Bei unserem Stück handelt es sich um die einzige lebensgroße Wiederholung unter den noch erhaltenen römischen Kopien, die alle auf ein und dasselbe, in hellenistischer Zeit entstandene Original zurückgehen. Hinsichtlich der Datierung des Originals ist bislang keine Einigkeit erzielt worden. Folgende Alternative bildete sich heraus: Einige Forscher möchten unser Mädchen in der unmittelbaren Nachfolge der sogenannten Tyche von Antiochia (Abguß Inv. 74 (Budapest) und 407 (Vatikan)) sehen, die um 300 v. Chr. entstanden ist - hauptsächlich wegen seines ähnlich verschränkten Sitzmotivs mit übereinandergeschlagenem Bein. Ein weiteres wesentliches Argument für diese frühhellenistische Datierung ist die Mehransichtigkeit der Mädchenfigur. Dagegen wenden andere Archäologen ein, daß die Gesamtkomposition - nicht wie noch bei der Tyche - in sich geschlossen und keine klare Umrißlinie vorhanden sei. Unter anderem deswegen sei die Figur in die 2. Hälfte des 2. Jh.v.Chr. zu datieren. Auch der Gewandstil wurde herangezogen, doch fehlt es hier an überzeugenden und zugleich fest datierten Beispielen. Die Datierungsfrage muß also vorerst offen bleiben.
Verfolgt man nun das Motiv des von der Schulter gerutschten Gewandes, so trifft man es seit der Klassik vor allem bei Aphroditestatuen als erotisches Motiv an, ferner bei Kinderdarstellungen als Ausdruck kindlichen Bewegungsdranges und der kindlichen Ungeschicklichkeit, sich in den kompliziert drapierten Gewändern angemessen zu bewegen, und schließlich bei der Darstellung von Dienerinnen, bei denen mit diesem Motiv auf ihre Geschäftigkeit und Dienstbereitschaft angespielt wird. Die Deutung des Mädchens als Dienerin kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, denn gegen diese spricht die Manteltracht, die bei Dienern in dieser Form nicht anzutreffen ist und bei der Arbeit geradezu hinderlich sein würde. Hinzu kommt wohl auch die außerordentlich kunstvoll drapierte Haartracht. Gerade sie scheint einen Hinweis auf die Deutung zu geben. Die zu einer Haarschleife hochgenommenen Haare sind ein häufig bei Aphroditefiguren anzutreffendes Element. Dennoch möchte die rein erotische Deutung des Motivs des von der Schulter gerutschten Gewandes bei unserem Mädchen nicht gänzlich befriedigen; denn nicht einmal bei der entblößten Brust finden sich Andeutungen weiblicher Formen. Lediglich der Kinderspeck ist nicht mehr vorhanden. Man hat also offenbar versucht, genau die Stufe zwischen Kind- und Erwachsensein darzustellen.
So kann das Gewandmotiv als Hinweis auf spätere frauliche Eigenschaften, aber auch als Rest kindlicher Verspieltheit gedeutet werden. Letztes ist - wenn auch in ganz zurückhaltender Form - in dem nach hinten zum Stuhlbein ausschwingenden Chitonsaum auf der linken Seite angedeutet, der ein Baumeln der Beine suggeriert. Der Gesamteindruck ist jedoch eher der eines fast erwachsenen, nachdenklichen, vielleicht über sich selbst nachsinnenden Mädchens.
Erst im Hellenismus ist die Darstellung einer so schwierig zu erfassenden und umzusetzenden Altersstufe, die man wohl am besten mit „Pubertätsphase“ bezeichnet, denkbar. Denn Voraussetzung ist die genaue Differenzierung verschiedener Entwicklungsstufen des Kindes, ein Interesse, das sich erst relativ spät ausbildete und in der bildenden Kunst umgesetzt wurde.
So stellte man anfangs Kinder entweder als „kleine Erwachsene“ dar oder im Kleinkindalter als „Wickelkinder“ oder auch als „Krabbelkinder“. Andere Altersstufen wurden - zumindest in ihren Besonderheiten - nicht differenziert. Gegen Ende des 4. Jh.v.Chr. kann man - hauptsächlich anhand von Grabreliefs und den nun einsetzenden Kinder-Votivfiguren - den Beginn einer Entwicklung fassen, die sich um die Darstellung spezifisch kindlicher Eigenarten bemüht. Die Körper und Gesichter bekommen nun kindlich-mollige Züge, ja selbst die tapsigen Bewegungen werden zum Teil nachzuahmen gesucht. Im Hellenismus erreicht diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Realismus, der auf das Einfangen bestimmter Bewegungs- und Verhaltensweisen abzielte, „Augenblicksaufnahmen“, Genreszenen, die bis zur Karikatur übersteigert werden konnten, stellen im Hellenismus beliebte Motive dar. Gärten und Häuser wurden mit solchen „alltägliche“ Szenen wiedergebenden Monumenten geschmückt. Auch das Original unseres Mädchens, vielleicht auch die römische Kopie selbst, könnte einen solchen Aufstellungsort gehabt haben. Anhaltspunkte dafür haben wir jedoch nicht.
Aufgrund einiger Repliken bzw. Varianten der Mädchenstatue könnte man die Frage stellen, ob sich eine übertragende Symbolik hinter der Darstellung verbirgt. So hat eine Bronzestatue aus Macon im Louvre durch die gekreuzte Füllhörner darstellenden Stuhlbeine die Mädchenfigur offensichtlich als Glücksgöttin darstellen wollen. Diese Deutung wird unterstützt durch eine andere Wiederholung, die das Grundmotiv unseres Mädchens übernimmt und die Figur auf der Sockelinschrift als „Fortuna“ benennt. So will K. Parlasca das Mädchen im Konservatorenpalast als zu einem „in mehreren Varianten überlieferten Fortuna-Typus gehörig“ und damit eine unmittelbare Verbindung mit der Personifikation des „(glückbringenden) Schicksals“, wie sie in der Stadtgöttin „Tyche“ verkörpert ist, erkennen. Doch hat das Motiv unseres Mädchens auch noch andere Umbildungen erfahren, so z.B. auf einer Gemme in Verbindung mit einem Knaben, der ihm einen Spiegel hinhält, in dem es sich betrachtet. So scheinen die Wiederholungen zwar das Motiv unserer Sitzstatue aufzunehmen, doch durch kompositorische Veränderungen, die Zufügung von Attributen oder gar Namensbeischriften Umdeutungen vorzunehmen.
A. E. Klein, Child Life in Greek Art (1932);
H. Rühfel, Das Kind in der griech. Kunst (1984), bes. 243 f., Abb. 104;
Helbig4 II (1966) Nr. 1480 (v. Steuben) (mit Bibliographie).