Das Werk besteht aus griechischem Marmor, wobei der obere Teil mit Kopf aus feinerem Marmor gesondert gearbeitet ist. Der Erhaltungszustand ist gut, es fehlen lediglich die mit dem vorderen Teil des Tabletts weggebrochene linke Hand und die rechte Hand mit Unterarm. Auf dem Tablett sind als Gegenstände erkennbar eine halb gelöste Rolle, ein Zweig und zwei kleine Löwentatzen, Reste einer Löwenfigur oder eines Geräts mit Löwenfüßen. In der rechten Hand ist ein Zweig zu ergänzen, den das Mädchen auf das Tablett legt oder von diesem wegnimmt.
Es handelt sich um die Darstellung einer Opfernden; ganz in ihr Tun versunken richtet sie den Blick auf ihr Opfergerät. Dem kräftigen Körperbau entspricht ein fester, breiter Stand, aber die schmächtige Brust und das kleine, runde Gesicht weisen auf jugendliches Alter der Dargestellten, also ein Mädchen hin.
Kleidung und Frisur sind außergewöhnlich. Der stoffreiche, hochgegürtete Chiton ist über die rechte Schulter herabgerutscht, aus der tieferen Taillengürtung wurde das Gewand nur teilweise hochgezogen, sodass ein weit herabreichender Bausch an der linken Hüfte sichtbar ist, während hinten der Chitonsaum über die Erde schleift. Den Mantel aus gröberem Stoff trägt das Mädchen eng um den Körper geschlungen, er ist zu Wülsten zusammengedreht, deren einer um die Taille, ein zweiter über die linke Schulter verläuft. Offensichtlich soll er die Opfernde nicht bei ihrer kultischen Verrichtung behindern. Auch die Haare trägt sie wohl hochgebunden, damit sie ihr nicht ins Gesicht fallen. H. Kenner wies allerdings darauf hin, daß es sich möglicherweise auch um einen Frisurenknoten handelt, der - wie an Apollonköpfen - eine schützende, übelabwehrende Bedeutung hatte.
Viele Benennungen sind für dieses opfernde Mädchen vorgeschlagen worden. Nicht nur der Haarknoten, sondern auch die Kultgegenstände, gedeutet als Schriftrolle, Lorbeerzweig und Löwenstatuette, ließen beispielsweise an eine Priesterin des Apollon denken, an die Pythia oder eine delphische Sibylle. Wegen des jugendlichen Alters der Dargestellten wirkt eine solche Benennung allerdings wenig überzeugend. Dasselbe gilt für die ebenfalls vorgeschlagene Deutung als Kassandra. Wahrscheinlicher könnte es sich auf Grund bildlicher Parallelen in der römischen Wandmalerei um eine Gehilfin der opfernden Iphigenie handeln, womit sie allerdings als Gruppenfigur zu interpretieren wäre.
Meist begnügt man sich mit der Feststellung, dass hier eine unbekannte, jugendliche Opferdienerin gemeint ist, in auffallend natürlicher Weise dargestellt, wie es für die hellenistische Kunst bezeichnend ist, die häufig die älteren, ernst-rituellen Inhalte ins Genrehafte umdeutet. In der nachlässigen Kleidung glaubte man zudem ein Charakteristikum des dienenden Standes sehen zu dürfen. In der Tat ist der Mantel unschön zusammengehalten und der Chiton achtlos gegürtet, aber dennoch sind beide Kleidungsstücke in dieser Form nicht standestypisch für Bäuerinnen, Ammen oder Mägde, wie sie die hellenistische Kunst auch zum Thema macht. Vor allem der stoffreiche, fein plissierte Chiton zeigt eher die vornehme Herkunft des Mädchens an.
Es sei darum noch ein weiterer Erklärungsversuch genannt: H. Kenner schlug auf Grund der Verwahrlosung einer eigentlich aristokratischen Kleidung und des jugendlichen Alters eine Deutung als Elektra vor. Nach der Ermordung des Vaters Agamemnon war sie am Hofe des Aigisth und der Mutter Klytaimnestra, da sie sich der neuen Herrschaft nicht fügte, zu Sklavendiensten verurteilt. Trotz eines Verbotes ließ sie nicht davon ab, das Grab ihres Vaters regelmäßig aufzusuchen und zu pflegen. Als trauernde Tochter und Pflegerin des väterlichen Grabes war Elektra in der älteren klassischen Kunst eine fest umrissene Gestalt. Mithin würde die hellenistische Figur in einer verständlichen bildlichen Tradition stehen. Die Gaben auf dem Tablett ließen sich zudem auch auf den Totenkult beziehen, denn die Rolle stellt wohl keine Schriftrolle, sondern eine Opferbinde dar, wie sie z.B. ähnlich auf der bemalten Grabstele der Paramythion in der Glyptothek (Saal IV7) gezeigt ist. Die Zweige wären Myrtenzweige, wie sie Euripides ausdrücklich im Grabkult des Agamemnon erwähnt (Elektra 323ff., 512). Die Löwenfüße rekonstruiert Kenner zu einem bronzenen Räuchergerät, es könnte sich freilich auch um eine Pyxis auf Löwenfüßen handeln.
Das Mädchen von Antium gehört zu den Meisterwerken der hellenistischen Kunst. Seine genauere zeitliche Einordnung macht allerdings Schwierigkeiten, die Datierungsvorschläge bewegen sich zwischen dem frühen 3. und dem 2. Jh.v.Chr. Nach R. Carpenter besitzen wir in der Figur eine Kopie der „Epithyousa“, einer Opfernden des Lysippschülers Phanis, woraus sich eine Datierung in das frühe 3. Jh.v.Chr. ergeben würde. Dieses Original war in Bronze gearbeitet (Plinius, Naturalis Historiae 34, 80).
Bezeichnend für die Gestaltung der Figur ist einerseits ihre Bewegungsweise, nämlich das weit zur Seite gestellte Spielbein und die Schrägstellung des Oberkörpers. Das Mädchen vollführt eine Drehung, die sich auch dem Gewand in diagonal verlaufenden Partien mitteilt. Viele Züge weisen schon auf den hohen Hellenismus, so der Kontrast zwischen schmächtigem Oberkörper und massigem Unterbau, wie auch die „ungefällige“ Verstrebung der Mantelwülste und die realistische Darstellung der Stoffstruktur. Aus dem 2. Jh.v.Chr. ist allerdings eine große Zahl originaler Frauenstatuen in Marmor erhalten, mit denen sich das Mädchen von Antium nicht unmittelbar vergleichen läßt. Meist wird darum heute eine Datierung bald nach der Mitte des 3. Jh. vertreten und Carpenters Identifizierung mit dem literarisch bezeugten Werk des Phanis abgelehnt.
Die Vereinzelung des Werkes, das Fehlen direkter Stil-Parallelen wird verständlicher, wenn man bedenkt, dass hinter der Marmorkopie eine originale Bronzestatue steht. Von der Meinung, der Fund von Antium sei wegen der Verwendung verschiedener Marmorsorten und des sparsamen Gebrauchs von Stützwerk selbst ein hellenistisches Original, wird man wieder abrücken müssen. Die Figur stammt aus einem kaiserzeitlichen Kontext: Sie wurde im Winter 1878 bei Porto d'Anzio an der Meeresküste aus den Ruinen einer römischen Villa geborgen. Eine heftige Brandung hatte Teile dieses Gebäudes freigespült. Die Statue fand sich vor einer Wandnische liegend, aus der sie herabgestürzt war. Im gleichen Raum wurde eine zweite, weit unbedeutendere Nischenfigur gefunden, deren spätantike Basis die lange Benutzung der Anlage bezeugt, und zugleich vor Augen führt, dass in der Ausstattung kaiserzeitlicher Villen sehr unterschiedliche Qualitäten vereinigt werden konnten.
Nicht zuletzt der künstlerische Gegensatz dieser beiden Funde hat die Hochschätzung des opfernden Mädchens als griechisches Original evoziert. Erwiesenermaßen gibt es jedoch - vor allem in der frühen Kaiserzeit, in der die Villa von Porto d'Anzio entstand
Helbig4 2240 mit älterer Lit.;
P. Mingazzini, JdI 81, 1966, 173ff.;
H. Kenner, Das Mädchen von Antium. SB Wien 274,1 (1971);
H. Lauter, AM 86, 1971, 147ff.;
E. Simon, Gymnasium 84, 1977, 349ff.;
Lullies-Hirmer, Griechische Plastik4 (1979) Abb.250-251;
J. J. Pollitt, Art of the Hellenistic Age (1986) 55ff.