Die Statue wurde im 15. Jh. in der Nähe von Rom gefunden und gelangte bereits unter Papst Julius II (1503-1513) in den Vatikan. Die am Original heute entfernten Ergänzungen sind am Abguß noch zu sehen, nämlich der rechte Unterarm mit Hand und die linke Hand. Diese hielt den Bogen, die Rechte einen mit Binden umwundenen Lorbeerzweig, von dem sich an der Statuenstütze, einem Baumstumpf, Reste erhalten haben. Der Gott trägt einen Schultermantel und Sandalen; der Mantel ist teilweise um den linken Arm gewickelt. Ein quer über die Brust laufender Riemen hält im Rücken einen offenen, mit Pfeilen gefüllten Köcher. Apollon schreitet voran, wendet aber den Kopf zurück, der Blick ist auf ein fernes Ziel gerichtet.
Das aus italischem Marmor bestehende Werk ist eine kaiserzeitliche, relativ hart und glatt gearbeitete Kopie des 2. Jh.n.Chr. Sie gibt mit ziemlicher Sicherheit eine Bronzestatue des attischen Bildhauers Leochares aus den Jahren 340-30 v.Chr. wieder, die Pausanias im 2. Jh.n.Chr. noch auf der Agora von Athen vor dem Apollon Patroos-Tempel sah (Beschreibung Griechenlands I 3,4). Die Statuenstütze, eine technisch notwendige Zutat des Kopisten, hat man sich am Original wegzudenken. Dieses zeigte den Gott in freierem, dazu auch aufrechteren Stand, denn die heutige Neigung nach vorn ist durch die Verwendung der Kopie als hoch stehende Nischenfigur bedingt. Die Hauptansicht der Kopie dürfte hingegen auch diejenige des Originals gewesen sein, nämlich eine Schrägansicht, in der der Gott nach links schreitet und den Kopf in Dreiviertelansicht zeigt, gemäß dem Bestreben der spätklassischen Bildhauer, schaubildhaft in der Vorderansicht alle wesentlichen Eigenheiten und räumlichen Bezüge der Figur zur Geltung zu bringen. Der weit herab reichende Mantel, der das Marmorwerk zusätzlich stützt, war am Original wahrscheinlich kürzer gehalten. Einzelne Teile, wie Gewand, Köcher, Sandalen und Bogen hat man sich am Bronzeoriginal vergoldet zu denken. Das Gesicht dürfte vom Kopisten ins Markant-Heroische gesteigert sein, jedenfalls muß als Korrektiv eine zweite, in Basel befindliche Replik, der sog. Kopf Steinhäuser (Abguß Inv. 45) herangezogen werden. An diesem ist die Modellierung feiner, die Haarwiedergabe schlichter, der Blick freier.
Der Bogen war Waffe und Attribut des Gottes. Schon in frühgriechischen Texten wird Apollon der Fernhin-Treffende genannt. Er wehrt mit seinen Pfeilen gleichermaßen das Übel ab, wie er es als rächender und strafender Gott den Menschen auch bringen kann. Auch als Überwinder der Pythonschlange von Delphi wird er mit dem Bogen dargestellt. J. J. Winckelmann deutete den Belvederischen Apollon noch als Pythontöter. Davon ist man später, eher an eine göttliche Epiphanie denkend, abgerückt. Der Bogen würde dann auf Taten und Wirkungskräfte des Apollon allgemein verweisen. Die Kopie zeigte als zusätzliches Attribut in der rechten Hand den Lorbeerzweig, ein Zeichen der reinigenden und heilenden Kraft des Gottes. Wahrscheinlich hielt er in der originalen Fassung jedoch nicht diesen Zweig, sondern einen Pfeil; er war damit eindeutiger als Bogenschütze gekennzeichnet, während der Kopist ihn mit möglichst vielen Attributen auszustatten suchte. Zu diesen gehört in jedem Fall die den Heilgott symbolisierende Schlange am Baumstamm.
Ein anderes Attribut des Gottes ist das Saiteninstrument, die Kithara oder die Leier. Apollon spielt sie als Anführer der Musen. Diese verkörpern die Künste des Gesangs und des Tanzes, der Dichtung und des Wissens, letztlich Geschenke des Gottes. Denn dem Gott der Weisheit und Klarheit waren inspirierende erleuchtende Kräfte zu eigen. Auch als allwissender Orakelgott hat er eine große Rolle gespielt. Religionshistorisch betrachtet gilt als Vorgänger des griechischen Apollon der altorientalische Sonnengott Schamasch. Licht und Reinheit bleiben auch die Wesenszüge des griechischen Gottes und wurden später durch den Beinamen „Phoibos“ angesprochen. Beide Vorstellungen, sowohl die vom weisen Orakelgott wie auch die vom Übel abwehrenden Gott des Bogens, dem Heiler und Rächer, haben in dieser Lichtgestalt letztlich ihre gemeinsame Wurzel.
Die Statue im Belvedere zeigt den Gott in seiner vollkommenen, „apollinischen“ Schönheit, jugendlich und kraftvoll zugleich. Seine Jugend drückt sich auch im Fehlen des Bartes aus. Aber im Unterschied zu den Sterblichen erscheint er überlebensgroß und zugleich von weicherer Muskulatur als etwa gleichzeitige Athletenbilder. Untypisch für das Menschenbild ist auch das üppige, lange Haupthaar, das zu einem kunstvollen, wohl magisch-apotropäisch zu verstehenden Knoten verschlungen ist.
Der „schöne, fließende Stil“ der Spätklassik wurde von J. J. Winckelmann noch als Höhepunkt des griechischen Kunstschaffens empfunden. Die gefälligen Gestalten dieser Zeit lagen dem klassizistischen Kunstgeschmack offenbar näher als diejenigen der vorausgehenden, herberen Hochklassik. Insbesondere den Apoll im Belvedere hat Winckelmann „das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums“ genannt und ihn wiederholt gerühmt und beschrieben. Auch J. W. v. Goethe war überwältigt, als er 1771 diesen Apollon - in einem Abguß des Mannheimer Antikensaals - zum ersten Mal sah. Die bildende Kunst hatte ihn ohnehin seit seiner Auffindung immer wieder als musterhaftes Kunstwerk studiert und als nachahmenswertes Modell verwendet.
Eine zunehmende Hochschätzung der älteren Klassik und des archaischen Stils führte jedoch seit Beginn unseres Jahrhunderts zu einer allmählichen Abwertung der „weichlichen“, scheinbar weniger substanziellen Spätklassik. Erst G. Rodenwaldt versuchte das Besondere der spätklassischen Darstellungsweise erneut zu definieren, indem er die in der Statue ausgedrückte Gottesauffassung darlegte. Während das hochklassische Götterbild die göttliche Erhabenheit vor Augen führt, schildert die Spätklassik vor allem die selige Existenz der Götter. Klassische Götterfiguren wenden sich dem frommen Betrachter zu, die jüngeren sind auf ihr Tun bezogen, existieren in ihrer eigenen Welt, bemerken den Menschen nicht mehr. Auch der Apollon des Leochares schreitet leichtfüßig am Betrachter vorbei. Die Mühelosigkeit seines göttlichen Daseins äußert sich vor allem in der Schwerelosigkeit seines Ganges. Schon Winckelmann hat diese Bewegungsweise beobachtet und richtig beschrieben: „Keine Anstrengung der Kräfte und keine lasttragende Regung der Glieder spürt man in seinen Schenkeln, und seine Knie sind wie an einem Geschöpfe, dessen Fuß niemals eine feste Materie betreten hat.“
Helbig4 (1963) I, 226 mit älterer Literatur.
G. Rodenwaldt, Theoi rheia zoontes. Abh. Berlin 1943 (13) 18ff.
R.Tölle, JdI 81, 1966, 142ff.
H. Kenner, SB Wien 279.3 (1972).
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C. Landwehr, Die antiken Gipsabgüsse aus Baiae (1985) 104ff.