Die Statuengruppe des samischen Bildhauers Geneleos wurde 1911/12 im Rahmen der von den Berliner Museen durchgeführten Ausgrabungen im Heraheiligtum von Samos gefunden. Die Basis mit ihren sechs Figuren hatte eine wohlhabende Adelsfamilie um 560 v.Chr. der Göttin Hera als Weihgeschenk gestiftet. Mit anderen Votiven stand die Gruppe an der Nordseite der heiligen Straße, die zum Tempel der Hera führte. Die Statuen befinden sich mit Ausnahme der 2. Figur von rechts, der Ornithe, die in Ostberlin aufbewahrt wird, im Museum von Vathy auf Samos. Im Heiligtum selbst stehen heute Abgüsse aus Kunstmarmor.
Über zwei Schichten von Porosplatten erhebt sich eine dreistufige Basis, in der die Plinthen der sechs Figuren eingelassen sind. Die sitzende Figur thront auf einem schweren kubischen Armsessel und setzt ihre Füße auf einen Schemel. Bekleidet ist sie mit einem Chiton und einem schweren, doppelt gelegten Manteltuch. Obwohl die Art der Kleidung an die männlicher Figuren, wie z.B. der Branchiden aus Didyma, erinnert (vgl. Abguß Inv. 483), erfahren wir durch die Inschrift auf der Vorderseite des linken Sesselbeins, daß mit der Statue eine Frau namens ΦΛΕΙΑ (Phileia) gemeint ist. Auf ihrem Mantelsaum hat der Künstler seine Signatur hinterlassen: ΗΜΑΣ ΕΠΟΙΗΣΕ ΓΕΝΕΛΕΩΣ (uns machte Geneleos).Die zweite erhaltene Figur stellt ein stehendes Mädchen dar. Bekleidet ist sie mit einem langen, gegürteten, eng am Körper anliegenden Chiton, der einzelne Körperformen durchscheinen läßt. Ihr linker Fuß schreitet leicht nach vorne aus, und die Rechte rafft das Gewand und zieht es graziös in einem Wulst zur Seite. In der Falte neben dem Wulst wird sie durch eine Inschrift als ΦΙΛΙΠΠΗ (Philippe) bezeichnet. Auf der Rückseite der Figur beeindruckt die reiche Fülle des in 27 Lockensträhnen gegliederten Perlhaares.
Die Mädchenfigur an ihrer Seite, die den Namen ΟΡΝΙΘΗ (Ornithe) trägt, entspricht ihrer Schwester in Aufbau, Haltung und Gestus und unterscheidet sich nur durch die etwas geringere Körpergröße und die schlankere Proportionierung. Anders als bei Philippe fällt bei Ornithe das Haar über der Außenseite der Brüste jeweils in vier Perlhaarsträhnen herab, um die die über den Rücken ausgebreitete Haarmasse verringert ist.
Ganz ähnlich wie Ornithe und Philippe lassen sich die Fragmente der Figur in der dritten Plintheneinlassung ergänzen. Von ihren beiden Schwestern unterschied sich auch diese Korenstatue am stärksten durch die Frisur. Vermutlich trug sie ihre Haare auf dem Rücken zusammengenommen.
Die Plintheneinlassung der zweiten Figur hat im Vergleich zu der der drei Mädchenstatuen einen geringeren Umfang. Daraus läßt sich schließen, daß ihr Gewand nicht bis auf den Boden reichte und sie wohl auch von kleinerer Statur war. Wir können deshalb an dieser Stelle eine Jünglingsfigur annehmen. Walter-Karydi konnte nachweisen, daß das Oberkörperfragment eines Jünglings mit Aulos zu dieser Figur gehören muß. Der Knabe trägt einen knöchellangen Chiton und einen Mantel, der die linke Schulter bedeckt.
Die liegende Gestalt wird durch die Anbringung der Stifterinschrift ... ΑΡΧΗΣ ... ΤΗΙ ΗΡΗΙ (...-arches ... weihte der Hera) als Hauptperson bezeichnet. An ihr schritt der Heiligtumsbesucher zuerst vorbei. Die Figur liegt auf der als Polster gebildeten Plinthe und stützt sich mit ihrem angewinkelten linken Arm auf ein doppelt gelegtes Kissen, das auf Grund seiner ausgefranst abgebundenen Enden wohl als Weinschlauch zu interpretieren ist.
Bekleidet ist sie mit einem ungegürteten langen Chiton, der in lockerem Wulst über der Plinthe liegt. Der lange Mantel bedeckt Rücken, Unterkörper, linken Arm und die Schulter. In der Rechten hält die Person einen Gegenstand, der sich wahrscheinlich zu einem Trinkhorn ergänzen läßt.
Diese Figur galt in der Forschung vor allem wegen der üppigen Bildung der Brust als Frau, bis Himmelmann sie als Mann erweisen konnte. So gibt es für die voluminöse Gestaltung des männlichen Oberkörpers Vergleiche an anderen männlichen Statuen aus Samos und den angrenzenden Gebieten. Vor allem aber die Art der Kleidung, die Haartracht, Haltung der Figur und die Stellung in der Gesamtgruppe schließen die Deutung auf eine Frau aus. Z. B. findet sich der lange ungegürtete Chiton in archaischer Zeit niemals bei Frauen, und auch das nur knapp über die Schulter reichende Haar der Figur schließt bei einem Vergleich mit der üppigen Haarlänge der Koren eine Frau aus. Darüber hinaus kennen wir für Figuren von zum Mahl oder Trank gelagerten Männern zahlreiche Vergleiche, wohingegen Frauen in dieser Haltung ausschließlich als Hetären zu interpretieren sind und in der Regel nackt wiedergegeben werden. Auch die Form des Stifternamens - obgleich nur als Endung erhalten - spricht für die Deutung als Mann.
In der Figur des Stifters kommt besonders deutlich das ostgriechische Körperideal zum Ausdruck. Üppigkeit, Wohlleben und bequemes Lagern sind repräsentative Werte, die anders als etwa in Attika im ostionischen Bereich auch in die Großplastik umgesetzt werden. Typische Ionierinnen sind auch die Mädchen in ihren reichen fein plissierten Chitonen, attische Mädchen dagegen kleiden sich zur selben Zeit noch in feste Wollstoffe. Ionischen Ursprungs ist auch das elegante Motiv des Gewand-zur-Seite-Raffens, das uns bei den Geneleoskoren um 560 v.Chr. zum ersten Mal begegnet. Es erwies sich in den folgenden Jahrzehnten als außerordentlich beliebt und wurde ebenso wie die ionische Tracht auch von anderen Landschaften übernommen (vgl. die Koren von der Akropolis, Abguß Inv. 67, 69, 267).
Chronologisch lassen sich die Geneleoskoren zwischen der säulenhaft aufwachsenden „Hera“ des Cheramyes (Abguß Inv. 81) um 570 v.Chr. und der Kore mit dem Steinhuhn aus Milet (Abguß Inv. 213) um 540 v.Chr. einordnen.
Wir haben mit der Statuengruppe des Geneleos das früheste Familienmonument der griechischen Kunst vor uns. Darüber hinaus hat die Gruppe den großen Vorzug, mitsamt der Statuenbasis erhalten zu sein. Jede Person ist in einer für sie repräsentativen Haltung wiedergegeben. An dem stehenden Jüngling wird seine Fertigkeit im Aulosspiel gepriesen, an den Töchtern das üppig herabfallende Haar und daß sie es verstehen, anmutig das reiche Gewand zur Seite zu raffen. Eingerahmt werden die Kinder von der würdig thronenden Mutter und dem zum Symposion auf üppigen Polstern gelagerten Vater. Als die wichtigsten Figuren tragen sie die Künstler- und Widmungsinschrift. Mit diesem kostspieligen Weihgeschenk für die Göttin Hera dokumentierte die Familie des Stifters gleichzeitig ihren eigenen Reichtum.
N. Himmelmann, MarbWPr 1963, 13ff.;
B. Freyer-Schauenburg, Samos XI (1974) 106ff. m. weiterer Literatur;
U. Muss, AM 96, 1981, 139ff.;
E. Walter-Karydi, AM 100, 1985, 91ff.